Tagungsbericht zur Rückkoppelungsveranstaltung „Kollektives Wohnen und Sorgen – (k)eine Frage von Geschlecht?“

von Barbara Janker

„Kollektives Wohnen und Sorgen – (k)eine Frage von Geschlecht? – kommunalpolitische Perspektiven aus dem Forschungsprojekt WellCare“

Am 02.12.2022 fand im Rahmen eines Online-Formats die Rückkoppelungsveranstaltung des WellCare Teilprojekts der OTH Regensburg statt. Wissenschaftlerinnen der OTH Regenburg bilden zusammen mit der Frauenakademie München den Forschungsverbund WellCare im Projekt „Gutes Leben – Gutes Care: Innovative Sorgestrukturen und konkrete Praxis sozialräumlich verankern“.

Das Forschungsprojekt WellCare

Das Teilprojekt „Sozialräumliche Care-Versorgung im politischen Diskurs. Akteure, Debatten und Teilhabeprozesse in der Kommune“ der OTH Regensburg untersuchte dabei insbesondere Politikprozesse in drei Fallkommunen in Deutschland im groß- und klein-städtischen Raum bzw. großstädtischen Umland. Die Datenerhebung erfolgte im Rahmen qualitativer Fallstudien anhand online geführter Expert*innen-Interviews und Gruppendiskussionen in Präsenz.

In der Rückkoppelungsveranstaltung wurden erste Ergebnisse vorgestellt und die Gelegenheit zu Diskussion und Austausch mit den Forscher*innen und Teilnehmer*innen im Projekt gegeben. Insbesondere folgenden Fragen wurden behandelt: Welche – impliziten und expliziten – Geschlechtervorstellungen liegen Konzepten, Aushandlungs- und Steuerungsprozessen um gemeinschaftliches Wohnen zugrunde? Inwiefern bieten diese Prozesse Gelegenheiten zur sozialen Teilhabe und politischen Partizipation und werden dabei „neue“ Vorstellungen der Care-Versorgung thematisiert? Wie unterscheiden sich die Erfahrungen in den einzelnen Fallkommunen? Und wie könnte eine geschlechtergerechte Stadtplanung und Wohnpolitik aussehen? Außerdem hielt Humangeografin Frau Dr. Mary Dellenbaugh-Losse einen Vortrag zu geschlechtergerechter Stadtplanung.

Erstes Zwischen-Resümee aus dem Projekt

Die Entstehungsprozesse für gemeinschaftliche Wohnprojekte bieten Möglichkeitsräume für:

  • Auseinandersetzungen mit einer geschlechtergerechten Sorgekultur (kein Automatismus) und für Partizipation, Teilhabe und Aushandlungsprozesse in der Kommune.
  • Mit dem Thema gemeinschaftliches Wohnen werden auch Fragen der Solidarität neu gestellt und „Fürsorge“/Care diskursiv mit „Wohnen“ verknüpft. Neue Akteure, die auch Care-Perspektiven miteinbringen, werden in den Diskussionen um Wohnen hörbar. So bietet sich die Gelegenheit, Care neu zu denken und Genderperspektiven stärker einzubringen.

Vortrag von Dr. Dellenbaugh-Losse zu geschlechtergerechter Stadtplanung

Der Vortrag zeigte auf, wie die historisch gewachsenen und symbolisch in die gebaute Umwelt eingeflossenen Zuschreibungen „männlicher“ und „weiblicher“ Räume und Raumnutzungen unsere Städte und damit unseren Alltag prägen. Architektur und Stadtplanung waren und sind oftmals immer noch an „männlichen“ Routinen und Bedarfen orientiert; gerade Care-Aspekte werden dadurch marginalisiert. Zugleich gibt es aber auch erfolgreiche Ansätze, Stadtplanung geschlechtergerechter zu gestalten.  Beispiele hierfür wären die Wohnanlagen Frauen-Werk-Stadt I und II sowie das sich in Planung befindliche Sonnwendviertel in Wien oder das Konzept der „15-Minuten Stadt“.

Diskussionen in den Breakout-Räumen

Der 1. Breakout-Raum von Clarissa Rudolph beschäftigte sich mit der Geschlechterperspektive und der Frage wie diese stärker in Diskurse um gemeinschaftliche Wohnformen integriert werden kann. Es wurde herausgearbeitet, dass die Kooperation von kommunalen Akteuren, die sich mit geschlechterbezogenen Themen auseinandersetzen, stärker angeregt werden muss. Dass Care-Arbeit zunehmend ehrenamtlich geleistet werden soll, wurde kritisch gesehen.

Im 2. Breakout-Raum behandelte Nina Vischer die Frage, wie Partizipation auf Augenhöhe realisiert werden kann. Hier wurde deutlich, dass Erfahrungen mit Partizipationsprozessen sowohl in Wohnprojekten als auch im weiteren kommunalen Kontext besser sichtbar werden müssten, um voneinander lernen zu können.

Kyra Schneider ging im 3. Breakout-Raum auf den Sozialraum und der Frage, wie mehr Gemeinschaft in diesem gestiftet werden kann, ein. Dabei wurde erkannt, dass es in den Kommunen bereits zahlreiche gute Beispiele gibt, wie mehr Nachbarschaft angeregt werden kann. Vor allem niedrigschwellige und dauerhafte, also professionell organisierte Angebote seien hier wichtig – nicht nur ehrenamtliches Engagement.

Zusammenfassung und Ausblick

Insbesondere Themen wie Mobilität und Wohnen beinhalten viele Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Es bleibt die Frage, wie Care und Geschlechtergerechtigkeit über Mobilität, Stadtplanung sowie gemeinschaftliches Wohnen in Kommunen eingebracht werden kann. Ebenso stellen kollektive Wohnformen noch immer Nischenthemen dar, wobei Fragen, die für diese Wohnformen gelten, auch auf Familien übertragen werden können, z.B. wie Care verteilt werden kann. Gemeinschaftliche Wohnformen können somit Ausgangspunkt für neue Diskussionen zu Care und Geschlechtergerechtigkeit – in allen Formen des Zusammenlebens – sein.

 

Tagungsbericht zur Abschlussveranstaltung „WOHNEN – GEMEINSAM ?!“

von Sophia Hiergeist

WOHNEN – GEMEINSAM?! Zum Leben, Wohnen, Füreinander-Sorgen in gemeinschaftlichen Wohnprojekten

Am 17.11.2022 fand im Rahmen eines Online-Formats die Abschlussveranstaltung des WellCare-Teilprojekts der Frauenakademie München statt. Zusammen mit der OTH Regensburg bilden sie den Forschungsverbund WellCare im Projekt „Gutes Leben – Gutes Care: Innovative Sorgestrukturen und konkrete Praxis sozialräumlich verankern“.

Das Forschungsprojekt WellCare
Das Teilprojekt der Frauenakademie München untersucht Praktiken, Tätigkeiten und Deutungsmuster von gemeinschaftlichem Wohnen. Im Gegensatz zu dieser Mikro-Ebene von Alltagspraktiken in gemeinschaftlichen Wohnformen, forscht das Teilprojekt der OTH Regensburg auf der Ebene kommunalpolitischer Diskurse.

Diese Alltagspraktiken gemeinschaftlicher Wohnformen werden besonders unter dem Aspekt von Care und geschlechtsstrukturierenden Prozessen betrachtet. Care umfasst Sorge und Sorge-Arbeit für sich oder andere, die nicht selbst für sich sorgen können. Doch der Care-Bedarf, sowohl bezahlte, berufliche Care-Arbeit (z. B. Pfleger*innen) wie auch unbezahlte Care-Arbeit (z. B. Haushalt oder Kindererziehung), übersteigt das Angebot bei Weitem und wird zum Großteil von Frauen übernommen. Genau an dieser Thematik setzt das WellCare-Projekt an: Während der Wohlfahrtsstaat im Sinne einer Subsidiaritätslogik zuerst die Familie für Care verantwortlich macht, stellten sich die Forscherinnen die Frage, ob kollektive Wohnformen eine subsidiäre Gemeinschaft bilden können – unabhängig von klassischen Kleinfamilien?

Datenerhebung
Die Datenerhebung erfolgte mittels 25 (online gestützten) Interviews mit Bewohner*innen und/oder Expert*innen sowie teilnehmenden Beobachtungen in Wohnprojekten.

Ergebnisse
Der nächste Input stellte die bisher erlangte Ergebnisse des Forschungsprojektes dar, welche im Folgenden kurz dargestellt werden.

· Der Care-Begriff kann erweitert gesehen werden, da räumliche Komponenten Care beeinflussen können, indem beispielsweise räumliche Arrangements Gemeinschaft stärken oder das gemeinsame Kümmern um ein Haus ein „Wir-Gefühl“ stiften kann.

· Wohnprojekte können auch als Demokratieschule fungieren. Die meist benötigte Selbstorganisation von Wohnprojekten führt dazu, dass individuelle Entscheidungsstrukturen geschaffen werden müssen. Dadurch können Konfliktbewältigung oder die Akzeptanz gemeinsam erarbeiteter Regeln erlernt werden.

· Auch der geteilte Umgang mit Ressourcen, sowohl materiellen als auch immateriellen, kann beim Zusammenleben gefördert werden. Es entsteht eine sogenannte Sharing Economy.

· Wohnen hängt mit Geschlecht zusammen. Tendenziell wohnen mehr Frauen als Männern in gemeinschaftlichen Wohnformen. Care ist auch in den meisten untersuchten Wohnprojekten noch großteils weiblich, dennoch gibt es Aufbruchstendenzen und gemeinschaftliche Wohnformen können eine Lebensform abseits heteronormativer Raster bieten.

Workshops
Der Workshop von Katrin Roller beschäftigte sich mit der Frage, wie man (im Alter) leben will und wie sich gemeinschaftliche Wohnprojekte als fürsorgende Gemeinschaft verstehen. Dabei ging es insbesondere um die Fragen, wie eine wechselseitige Übernahme von Care funktionieren kann und wer sich wann um wen kümmert. Auch die Rolle des Wohlfahrtstaates in Bezug zur Care-Frage wurde beleuchtet: Wann sollten staatliche Institutionen eingreifen und was sollte durch staatliches Handeln unterstützt werden?

Der zweite Workshop von Sophia Hiergeist behandelte das Thema der Sharing Economy in Wohnprojekten. Das Hauptaugenmerk lag auf der Frage: Was teile ich mit anderen und was nicht?  Neben Informationen zur Sharing Economy im Allgemeinen sowie in Wohnprojekten wurde anhand der Daten dargestellt, welche Ressourcen Menschen in gemeinschaftlichen Wohnprojekten teilen.

Sandra Eck beschäftigte sich in ihrem Workshop mit der Frage nach Geschlechter(un)gleichheit und Rollenvorstellungen in Wohnprojekten und ob diese eine Alternative zur klassischen Kleinfamilie bilden können. Denn Wohnprojekte können die Möglichkeit einer gelebten nicht-hegemonialen Männlichkeit bieten. Dennoch sind (Care-)Praktiken noch ungleich verteilt, auch wenn ein sozialer Wandel spürbar ist.

Ausblick
Es gibt bereits einiges an Forschung über Wohnen: Aus architektonischer Sicht, aus geschichtlicher Perspektive oder quantitativ betrachtet, wie viel Wohnraum zur Verfügung steht. Weiterhin beschäftigten sich Personen mit der Soziologie des Wohnens oder welche Bedeutung Wohnen für unterschiedliche Gruppen haben kann. Dabei bleiben diese Forschungen jedoch meist leider nur in der eigenen Disziplin und ein weiter gefasster Blick oder die Verknüpfung zu anderen Sichtweisen fehlt. Die WellCare-Forscherinnen haben es mit dem Projekt geschafft, Wohnen als zentrales Grundbedürfnis der Menschen mit den Themen Care und Gender zu verknüpfen.

 

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Blogbeitrag auf Homepage der Stiftung trias

von Sophia Hiergeist
Die Stiftung trias wurde 2002 gegründet um Menschen und Projekte zu unterstützen, die sich in den Themenfeldern Boden, Ökologie und gemeinschaftliches Wohnen engagieren. Dabei geht es um einen gemeinwohlorientierten Umgang mit Boden, nachhaltige Lebensweisen und gemeinschaftliche Wohnprojekte mit sozialer und ökologischer Ausrichtung.

In einem spannenden Blogbeitrag berichtet die Stiftung über das WellCare-Projekte: https://www.stiftung-trias.de/aktuelles/forschungsprojekt-wellcare

Innovative Unterstützungsmöglichkeiten des gemeinschaftlichen Wohnens durch die Kommunen

von Barbara Janker
Der in unserer Gesellschaft vorherrschende demografische Wandel wirkt sich auch auf das Thema Wohnen aus. Die Geburtenrate sinkt bei steigender Lebenserwartung – daraus resultiert ein veränderter Altersaufbau der Bevölkerung. Auch die Bedürfnisse und Anforderungen an Wohnen sind von dieser Veränderung betroffen. Ein selbstbestimmtes Leben stehen ebenso im Zentrum wie Teilhabe an der Gesellschaft und die Vermeidung von Vereinsamung. Care Arbeit, die zur Erfüllung dieser Bedarfe notwendig ist, wird immer noch überwiegend von Frauen ausgeführt und kann unter Umständen zu einer größeren Betroffenheit von Altersarmut führen. Um dieser Dynamik entgegenzuwirken wird der Wunsch nach neuen Wohnformen laut, welche einerseits soziale Teilhabe und andererseits gegenseitige Unterstützung und gemeinschaftliches Care verwirklichen soll.

Besonders gemeinschaftliche Wohnformen können sich eignen, um dem demografischen Wandel in Hinblick auf Wohnen und Care gerecht zu werden (Töllner 2016, S. 27; Buchen und Maier 2008, S. 7; Pätzold 2017, S. 123–124). Gemeinschaftliche Wohnformen können sich durch die Eigenverantwortung einer Gruppe, die nachbarschaftliche Unterstützung, die sozialen Netzwerke, die lokale Zusammenarbeit und durch gemeinschaftliches Care, auszeichnen (Töllner 2016, S. 27).

Wohnraum gilt allgemein als Wirtschafts- und Sozialgut. Aufgrund der gestiegenen Boden- und Immobilienpreise ergibt sich allerdings ein angespannter Wohnungsmarkt – vor allem im Umfeld von Ballungsräumen. Aufgrund der hohen Kauf- und Mietpreise können viele Zielgruppen ihren eigenen Wohnbedarf nur schwer decken, woraus sich die Forderung nach bezahlbarem Wohnraum ergibt. Wohnen wird daher zur kommunalen Steuerungsaufgabe. Es wird nach vielfältigem und leistbarem Wohnraum verlangt (Bayerische Verwaltung für Ländliche Entwicklung, S. 18–19). Damit Kommunen dieser Forderung nachkommen, können sie beispielsweise die Entstehung von gemeinschaftlichen Wohnformen unterstützen. Ob gemeinschaftliche Wohnformen zustande kommen können oder nicht, liegt also in der Mitverantwortung der jeweiligen Kommune. So verfügt diese über verschiedene Instrumente, um die Entstehung von gemeinschaftlichem Wohnen zu fördern (Töllner 2016, S. 27), auf welche im Folgenden näher eingegangen wird.

Eine Möglichkeit der Kommune, um gemeinschaftliches Wohnen zu unterstützen, ist die Veräußerung von Grundstücken per Konzeptverfahren. Projektgruppen, welche gemeinschaftliche Wohnformen initiieren, konkurrieren in ihrer Bewerbung für kommunale Grundstücke meist mit Bauträgern oder Wohnungsunternehmen. Diese können bei Bedarf wesentlich schneller reagieren als die Projektgruppe. Mithilfe der Konzeptvergabe können Kommunen hier steuernd eingreifen. Sämtliche Bewerber für das kommunale Grundstück müssen im Rahmen des Konzeptverfahrens ihr eigenes Konzept vorlegen. Außerdem hat die Kommune dadurch die Möglichkeit, Gemeindeflächen speziell für gemeinschaftliche Wohnformen auszuweisen (Bura und Töllner 2014, S. 10; Töllner 2016, S. 27; BBSR 2020, S. 6–7).
Ebenso wird durch das Konzeptverfahren die Finanzierung für die Projektgruppe erleichtert. Denn im Gegensatz zu üblichen Höchstpreisverfahren spielt hier die Qualität des Konzepts eine wichtige Rolle und nicht das höchste Gebot. Des Weiteren hat die Kommune den Vorteil, dass sie das Projekt mit Hilfe der Ausschreibung inhaltlich steuern kann (Reimer et al. 2020, S. 57–58; BBSR 2020, S. 6–7).

Beispielsweise erfolgte beim sogenannten „Jahrhundertprojekt“ am Klosteranger Weyarn die Grundstücksvergabe über das Konzeptverfahren (Bayerische Verwaltung für Ländliche Entwicklung o.J., S. 34–35). Auch die Stadt Leipzig vergab die Grundstücke für Projekte der „Wohnungsgesellschaft mbH Central LS W33“ sowie für das Projekt „Flatiron am Felsenkeller“ über Konzeptverfahren (Netzwerk Leipziger Freiheit et al. 2018, 29, 31).

Auch das Gründen von Dachgenossenschaften durch die Kommune kann gemeinschaftliches Wohnen vorantreiben. Vor allem für kleinere Projektgruppen, welche aus organisatorischen und finanziellen Gründen meist keine eigene Genossenschaft gründen können, stellen Dachgenossenschaften eine große Hilfe dar. So wurde von der Stadt Tübingen die Dachgenossenschaft Wohnen ins Leben gerufen. Um Projekte lokaler Initiativen zu unterstützen, übernimmt sie die Gründungs-, Bau- und Verwaltungsaufgaben, also die übergeordnete Organisation. Die Projektgruppen behalten dabei ihre Autonomie. Auch stellt die Dachgenossenschaft einen Sozialfond für Menschen, die nicht aus eigenen Mitteln am gemeinschaftlichen Wohnen teilhaben können, zur Verfügung. Ziel der Stadt Tübingen ist es, Menschen aus allen Einkommensschichten den Zugang zu gemeinschaftlichem und langfristig bezahlbarem Wohnraum zu ermöglichen (Müller 2021; Dachgenossenschaft Wohnen Tübingen eG 2022).

Des Weiteren erleichtert die Vergabe von Grundstücken über Erbbaurecht den Projektgruppen die Realisierung ihres Konzepts. Ebenso kann die Kommune damit Initiativen mit wenig Kapital unterstützen. So haben Kommunen die Möglichkeit über das Erbbaurecht ein Grundstück befristet auf 99 Jahre zu vergeben. Der*die Erbbaurechtsnehmer*in erwirbt dabei das Eigentum an Gebäuden auf dem Grundstück. Die Projektgruppe zahlt dann einen Erbpachtzins an die Kommune zurück. Umgekehrt kann die Kommune mit dem*der Erbbaurechtsnehmer*in Vereinbarungen über die Gestaltung und Instandhaltung des Gebäudes treffen. Auch besteht der Vorteil, dass das Bauland im Eigentum der Stadt bleibt (Bura und Töllner 2014, S. 10; BBSR 2020, S. 6).

Ein Best-Practice-Beispiel hierfür ist die Initiative Froh2Wo in Bad Dürkheim. Die Kommune hatte die Absicht, das kommunale Grundstück über das Erbbaurecht an soziale und gemeinschaftliche Projekte zu vergeben und entschied sich hierbei für die Initiative Froh2Wo. Um das Projekt noch mehr zu unterstützen, senkte die Stadt sogar den Erbpachtzins von 3% auf 1,5% (Reimer et al. 2020, S. 58). Ein weiteres Beispiel ist das Mietshäusersyndikat in Freiburg. Flächen, die für Wohnungsbaugenossenschaften uninteressant waren, wurden über Erbpacht an das Syndikat vergeben (Mietshäuser Syndikat o.J.). Ebenfalls wurde das Gesundheits- und Pflegezentrum in Waldthurn, welches ein altengerechtes Wohnen mit Betreuungsangebot darstellt, durch einen Erbpachtvertrag zwischen Gemeinde und den Projektträgern realisiert (Bayerische Verwaltung für Ländliche Entwicklung, S. 30).

Auch eine Förderung von gemeinschaftlichem Wohnen durch das kommunale Wohnungsunternehmen ist denkbar. So kann die Kommune selbst nachfrageorientiert Wohnformen bilden und langfristig bezahlbaren Wohnraum sichern (Töllner 2016, S. 29; Bura und Töllner 2014, S. 7–8). Als Best-Practice Beispiel kann hier das „NILS-Wohnen im Quartier“ in Kaiserslautern angeführt werden. Dieses Wohnprojekt wurde von der Bau-AG, einem kommunalen Wohnungsunternehmen der Stadt Kaiserslautern, realisiert. Neben bezahlbaren Wohnraum besteht die Möglichkeit pflegerische, hauswirtschaftliche und soziale Dienste in Anspruch zu nehmen (Bau AG Kaiserslautern o.J.).

Weiterführend können Kommunen das gemeinschaftliche Wohnen unterstützen, indem sie spezielle Koordinierungs- und Beratungsstellen strukturell verankern. So erhalten Baugruppen und Wohnprojekte lokale Anlaufstellen, welche sie in ihrem Vorhaben beraten und unterstützen (Töllner 2016, S. 28; Bura und Töllner 2014, S. 7–8; Geschäftsstelle Modellprogramm Gemeinschaftlich wohnen, selbstbestimmt leben“ des BMFSFJ 2019, S. 57–58). Ebenso können Kommunen die Projektgruppen im Knüpfen von Kontakten zu Investoren oder Wohnungsunternehmen unterstützen. Projektgruppen sind für die Realisierung ihres Konzeptes oft auf solche angewiesen. Da die Kommune meist bereits bestehende Verbindungen zu diesen hat, kann sie einen Kontakt zwischen beiden Parteien herstellen und so die Realisierung des Wohnvorhabens positiv beeinflussen (Bura und Töllner 2014, S. 9; Töllner 2016, S. 29).

Die Stadt Hamburg beispielsweise integrierte im Amt für Wohnen, Stadterneuerung und Bodenordnung die Agentur für Baugemeinschaften. Diese berät seit 2003 Menschen, welche sich für nachbarschaftliches Wohnen interessieren. Sie unterstützt bei der Ideenfindung, knüpft Kontakte zu anderen Interessierten, informiert über Grundstücksausschreibungen und ist Ansprechperson in allen anderen Fragen (Amt für Wohnen, Stadterneuerung und Bodenordnung o.J.).

Als besonderes Beispiel für die Zusammenführung von Care und Gender im Bereich Wohnen kann die Koordinierungsstelle, Leitstelle „Alltags- und Frauengerechtes Planen und Bauen“, der Stadt Wien angeführt werden. Das erste Projekt der Koordinierungsstelle war der Wohnkomplex Frauen-Werk-Stadt I. Als Weiterentwicklung folgte 2004 die Frauen-Werk-Stadt II. Diese Projekte sind genau auf die Bedürfnisse von Frauen zugeschnitten (Baum 2021). Das Projekt Frauen-Werk-Stadt II stellt bezahlbaren Wohnraum für ältere Menschen, insbesondere Frauen, dar. Bei Bedarf kann auf das betreute Wohnen zurückgegriffen werden (Stadt Wien o.J., S. 1). Besonders spannend bei diesen Projekten ist, dass es sich nicht nur um gemeinschaftliche Wohnprojekte handelt, sondern dass ebenfalls „frauengerechtes“ und „alltagsgerechtes“ Wohnen berücksichtigt wird. Die Leitstelle Alltags- und Frauengerechtes Planen und Bauen wurde dann 2010 aufgelöst, um sie auf mehrere Stellen zu verteilen, beispielsweise auf den Bereich Gendergerechte Stadtplanung (Baum 2021). Diese strukturelle Verankerung der Themen Wohnen und Care in Wien kann als Best-Practice Beispiel bezeichnet werden.

Abschließend wird deutlich, dass Kommunen sich vieler verschiedener Möglichkeiten bedienen können, um gemeinschaftliche Wohnformen, auch in Bezug auf Care, positiv zu unterstützen und zu beeinflussen. Insbesondere die Hilfe zur Kontaktaufnahme mit Wohnungsunternehmen und Investoren kann das Entstehen von gemeinschaftlichem Wohnen beschleunigen. Für die Zukunft wäre wünschenswert, dass derartige Hilfemöglichkeiten auf kommunaler Ebene transparent dargestellt und aktiver umgesetzt werden. Somit kann die Thematik des gemeinschaftlichen Wohnens und deren Fördermöglichkeiten in der Bürger*innenschaft präsenter werden und auf mehr Anklang stoßen.

Veröffentlichung in Feministischer GeoRundMail Nr. 91

von Kyra Schneider und Katrin Roller

Gerne weisen wir darauf hin, dass zum Workshop Gemeinschaftliche Wohnprojekte als geschlechtergerechte Caring Communities? Workshop zum Alltagsleben und zur Verteilung von Care in gemeinschaftlichen Wohnprojekten“ von Kyra Schneider und Katrin Roller (WellCare) eine Zusammenfassung in der Feministischen GeoRundMail Nr. 91 zu finden ist (ab S. 108). Der Workshop fand im Rahmen der Tagung „Erschütterungen, Verschiebungen, Umbrüche“ beim Vernetzungstreffen Feministische Geografien im April 2022 in Berlin statt.

Der Download der ganzen Ausgabe ist unter folgendem Link möglich: https://ak-feministische-geographien.org/rundmail/

Veranstaltung „WOHNEN – GEMEINSAM ?!“

 
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Neue WellCare-Publikationen

von Sophia Hiergeist

Gerne weisen wir Sie auf unsere neuen WellCare-Publikationen hin:
  • Roller, Katrin; Eck, Sandra (2022): Gutes Leben – gutes Care: Innovative Wohn-Care-Projekte
    zwischen utopischer Spinnerei und umsetzbarem Reallabor. In: Ulrike Knobloch, Hildegard Theobald, Corinna Dengler, Ann-Christin Kleinert, Christopher Gnadt | Heidi Lehner (Hrsg.). Caring Societies – Sorgende Gesellschaften. Neue Abhängigkeiten oder mehr Gerechtigkeit? Weinheim, Basel: Beltz Juventa, S. 222 – 240
  • Vischer, Nina; Schneider, Kyra; Dollsack, Sophia (2022):Habe ich mir noch nie Gedanken darüber gemacht“: Interdependenz von Wohnen, Care und Geschlecht in kommunalpolitischen Prozessen. In: Ulrike Knobloch, Hildegard Theobald, Corinna Dengler, Ann-Christin Kleinert, Christopher Gnadt | Heidi Lehner (Hrsg.) Caring Societies – Sorgende Gesellschaften. Neue Abhängigkeiten oder mehr Gerechtigkeit? Weinheim, Basel: Beltz Juventa, S. 66 – 84

Der Sammelband mit den beiden Artikeln ist zum freien Download verfügbar unter:

https://www.beltz.de/fachmedien/soziologie/produkte/details/48934-caring-societies-sorgende-gesellschaften.html

Weiterhin ist in den Blättern der Wohlfahrtspflege folgender Artikel erschienen:

  • Roller, Katrin (2022): Gemeinschaftliche Wohnprojekte – Caring als Demokratieschule im Kleinen. Blätter der Wohlfahrtspflege, Jg. 169, 04/2022, 127 – 130.

Bericht zur Veranstaltung „Stadtplanung der Zukunft – feministisch und inklusiv“

von Kyra Schneider
Was braucht es für Städte, in denen sich alle Menschen wohl und sicher fühlen und keine Barrieren die Teilhabe erschweren? Welche Wege zu einer „Stadt für alle“ gibt es? Diesen Fragen wurde aus feministischer Sicht auf der Online-Veranstaltung „Stadtplanung der Zukunft – feministisch und inklusiv“, organisiert von der ASF (Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen) der SPD, am 20. Juni 2022 nachgegangen.
Die Landschaftsarchitektin und Humangeografin Mary Dellenbaugh-Losse erläuterte in ihrem Vortrag, was gendergerechte Stadtplanung bedeutet und illustrierte dies anhand ein paar Beispielen aus Wien, Barcelona und Umeå (vgl. Gender Euqal Cities Report). In der Planung und Umsetzung gelte immer noch viel zu oft unhinterfragt eine „Männerperspektive“ (aktuelles Beispiel: City-Toiletten in Berlin, auf denen die Pissoirs zwar kostenfrei sind, die Sitzklos aber 50 Cent kosten): Frauen seien zum einen in den Daten unsichtbar (vgl. Criado-Perez), zum anderen seien Architektur- und Planungsberufe nach wie vor „Männerdomänen“.

 

Auch existierende Beteiligungsformate würden unterschiedliche Lebensrealitäten, wie z.B. Care-Verantwortung, zu wenig berücksichtigen und damit bestimmte Menschen an der Teilnahme von Gestaltungsprozessen ausschließen. Gender Mainstreaming in der Stadtplanung betrifft alle Bereiche und hat zahlreiche Dimensionen: in der Planung von öffentlichen und Freizeiträumen (für mehr Aufenthaltsqualität für alle und unterschiedliche Nutzungsverhalten), im Bereich der Mobilität (nachhaltigere Bewegungsmittel, was „weiblichem“ Mobilitätsverhalten entspricht), in der Repräsentation (bei Straßennamen, und zwar nicht nur bei kleinen peripheren Straßen in Neubaugebieten), im Bereich von Smart City Konzepten (auf Basis welcher Datenlage werden Algorithmen erstellt?), bei der Frage nach der sozialverträglichen Wohnraumversorgung (Stichwort Gender Pay Gap, Gender Pension Gap) etc.
Als zweite Rednerin stellte die Bürgermeisterin Christiane Küchenhof die Versuche ihrer Stadt Schenefeld vor, inklusiver zu werden. So soll in der (quasi nicht existenten) Innenstadt ein Bürgerzentrum entstehen, an dem alle kommunalen Dienstleistungen vom Standesamt zur Bibliothek zu finden sind und der sich durch gute Aufenthaltsqualität und Freiräume für Kunst und Kultur auszeichnen soll. Als Kleinstadt mit 20.000 Einwohner*innen direkt an der Stadtgrenze zu Hamburg und an Naturschutzgebieten gelegen, stellt die inklusive Umgestaltung die Stadt dabei vor besondere Herausforderungen: viel Platz für Stadterweiterungen gibt es nicht, und die Beantragung von Fördermitteln – vor allem von „Bürokratiemonstern“ wie EU-Fördermitteln – sei für viele Kleinstädte aufgrund ihrer entsprechend kleinen Verwaltung schwierig.

 

Die Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, Klara Geywitz, ergänzte die Runde mit ihrer bundespolitischen Perspektive. Genderaspekte sollten bei der Stadtentwicklung, der politischen Repräsentation und bei Fragen des Gender-Budgeting (also: wohin fließt wieviel Geld?) berücksichtigt werden. Für das Bundesministerium sei gerade die zukünftige Entwicklung der Innenstädte, angesichts des Trends des Rückzugs des Einzelhandels aus diesen, von Bedeutung. Vielleicht läge die Zukunft der Innenstädte in Ansätzen der „Sharing Economy“ (Teilen statt Kaufen reduziere ja auch den benötigten Wohnraum) und des „Rechts auf Reparatur“ (im Sinne einer nachhaltigen zirkulären Ökonomie). Ein weiterer wichtiger Aspekt sei es, konsumfreie Aufenthaltsorte zu schaffen, um Teilhabe für alle zu ermöglichen.

 

Auf die Publikumsfrage, was nötig sei, um Genderaspekte auch tatsächlich umzusetzen, gab es unterschiedliche Antworten: Christiane Küchenhof appellierte an die Politik, Förderprogramme mit weniger Bürokratie zu versehen, um die Antragshürden auch für kleine Verwaltungen zu senken; Klara Geywitz betonte, dass Quoten notwendig seien, um die „gläserne Decke“ vor Entscheidungspositionen zu brechen; und Mary Dellenbaugh-Losse schilderte aus dem Bereich der ​Architektur- und Planungsberufe, wie die dort herrschende Wettbewerbsmentalität der Vereinbarkeit von Familie und Beruf entgegenstünde, und der sich dadurch aufmachende Gender-Gap auch in der Vergabepraxis niederschlage.
Eine Kritik aus dem Publikum hinterfragte die Gleichsetzung von „feministisch“ mit „inklusiv“: das Argument „Was den Frauen hilft, hilft allen“ greife eventuell zu kurz und man müsse trotzdem explizit auch über Inklusion sprechen. Tatsächlich schien das Thema Inklusion eher nur am Rande auf. Eine stärkere intersektionale Perspektive wäre hier wünschenswert gewesen. Trotzdem geben feministische Perspektiven auf Stadtplanung Anregungen dazu, bestimmte „Normalitäten“ aufzubrechen und zu fragen: Wer nutzt die Stadt wie? Was wird – oftmals unreflektiert und implizit – als Norm gesetzt? Und was braucht es, um jenseits dieser vermeintlichen Norm, allen Nutzer*innen-Verhalten und Bedarfen entgegenzukommen? Alles in allem war die Veranstaltung sehr aufschlussreich und machte greifbarer, was „feministische Stadtplanung“ eigentlich bedeutet, und für welche anderen Problemfelder (z.B. Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Inklusion) eine feministische Perspektive anschlussfähig ist.

 

Zeitung partizipativ – die SZ lädt derzeit als „Plus 3-Magazin“ zum Mitdiskutieren ein

von Katrin Roller

Zeitung partizipativ – die SZ lädt derzeit als „Plus 3-Magazin“ zum Mitdiskutieren ein. Unter dem Stichwort Wohnen äußert sich unter anderem Katrin Roller zum Thema Care und Wohnen: https://plus-drei.de/themen/

Bildquelle: https://plus-drei.de/ausgaben/

Workshop „Gemeinschaftliche Wohnprojekte als geschlechtergerechte Caring Communities?“

Vom 28.4. – 30.4.2022 findet vor Ort in Berlin/online und hybrid das Vernetzungstreffen feministischer Geografie statt.
Katrin Roller und Kyra Schneider veranstalten hierbei einen Workshop mit dem Titel: „Gemeinschaftliche Wohnprojekte als geschlechtergerechte caring communities? Workshop zum Alltagsleben und zur Verteilung von Care in gemeinschaftlichen Wohnprojekten“. Hier geht’s zum Ankündigungstext.