Corona und WellCare – Was bedeutet die Pandemie für unser Forschungsprojekt?

Von Kyra Schneider

Die Corona-Pandemie beschäftigt die Welt nun seit einem guten dreiviertel Jahr und bahnte sich just zum Start unseres Forschungsprojektes WellCare an, das im Februar 2020 startete. Schien es zunächst noch, als wäre dies eine Krise, die bis Ende des Jahres einigermaßen überwunden werden könnte, zeichnet sich nun ab, dass eine Rückkehr zur Vor-Corona-Normalität nicht so bald möglich sein wird. Doch was bedeutet diese weiterhin andauernde Ausnahmesituation nun für unser Forschungsvorhaben?

Zum einen geht es natürlich um eine Anpassung unserer Erhebungsmethoden – Interviews, Gruppendiskussionen und teilnehmende Beobachtungen sind unter Pandemie-Bedingungen nicht eins zu eins umzusetzen wie geplant. Andere Forschungsmethoden können jedoch den Fokus der Forschung verschieben bzw. es können bestimmte Erkenntnisse entfallen (z.B. die, die durch teilnehmende Beobachtungen erlangt werden sollten). Doch nicht nur forschungspraktisch hat die Corona-Pandemie Auswirkungen auf uns, ebenso wie sicherlich auf viele andere Forschungsvorhaben auch. Zudem erscheinen Forschungsgegenstand und -frage in einem neuen Licht.

So ist insbesondere unsere Thematik, Wohnen und Care zusammenzudenken, von der Corona-Pandemie berührt. Wie sich gerade in Zeiten des Lockdowns gezeigt hat, wird der „eigene Haushalt“ durch die getroffenen Regelungen politisch zum Rückgrat von Care erklärt: Während der ersten Welle waren nur hier soziale Kontakte erlaubt; durch die Schließung von Schulen, den vorübergehenden Aufnahmestopp in Alten- und Pflegeheimen in Bayern, die Einstellung ehrenamtlicher Besuchsdienste etc. wurde der Haushalt – und wie sich gerade zu Anfang in den Medien und der politischer Kommunikation feststellen lässt – die implizit damit gemeinte Kleinfamilie zu einem zentralen Leistungserbringer von Care und zwischenmenschlichen Kontakten.

Krisenzeiten offenbaren, nach welchen Mustern Gesellschaft funktioniert: einerseits durch einen Rückgriff auf althergebrachte „Patentrezepte“, quasi den „default-Modus“ einer Gesellschaft; andererseits aber auch dadurch, dass durch Krisen hergebrachte Normativitäten ins Wanken geraten und Räume für die Re-Organisation von Gesellschaft entstehen können. Letzteres ließe sich hinsichtlich Care- und Geschlechterverhältnisse möglicherweise an einer stärkeren Beteiligung von Vätern an der Familienarbeitszeit während Corona feststellen (vgl. z.B. Bujard et al. 2020 – die Forschungslage dazu ist aber noch sehr uneinheitlich.; Der Rückgriff auf „bewährte“ Strategien hingegen zeigt sich eben gerade daran, dass – ohne größere Debatte darüber, was eigentlich unter Haushalt oder Familie zu verstehen sei – diese Form des Lebens und Wohnens während des (ersten) Lockdowns als quasi selbstverständliche gesellschaftliche Ressource vorausgesetzt wurde, um die aus der öffentlichen Sphäre verwiesenen Care-Aufgaben zu übernehmen. Nur: zwar lebte 2018 fast die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland in Familien mit ledigen Kindern, also in der als Norm gesetzten Kleinfamilie; aber immer noch knapp ein Viertel der Menschen lebte alleine in einem Haushalt, oftmals verwitwete ältere Frauen (vgl. Demografieportal 2018). Zudem gibt es gut 2,5 Millionen Alleinerziehende, überwiegend Frauen (Statistisches Bundesamt 2020). Die Wohn- und Lebenssituation ist also wesentlich diverser, als die Corona-Maßnahmen vermuten lassen würden.

Nicht nur, dass die Wohn- und Lebenssituation der in einem Wohnraum zusammenlebenden (heteronormativen) Kleinfamilie als Norm gesetzt wurde; auch wurde sehr schnell klar, wem quasi automatisch die Übernahme der zusätzlich anfallenden Care-Arbeit zugeschrieben wurde und diese auch oftmals übernahm: den Frauen. So reduzierten 27% der Mütter mit Kindern unter 14 Jahren ihre Arbeitszeit, aber nur 16% der Väter, um die Kinderbetreuung zu gewährleisten (vgl. Kohlrausch/ Zucco 2020).

Dass nun alles darangesetzt wird, Schulen und Kitas weiterhin offen zu halten, geschieht sicherlich nicht nur um weiterhin Bildungschancen zu gewähren, sondern auch, weil diese Einrichtungen eine zentrale Betreuungsinfrastruktur darstellen. Denn es zeigte sich schnell, dass auf Dauer Home Schooling und Erwerbsarbeit – selbst im Home-Office – nicht möglich ist. Das Funktionieren der klassischen Kleinfamilie ist zwischen Erwerbs- und Sorgearbeit schon jetzt prekär, genauso wie die Personaldecke im öffentlichen Care-Bereich. Die bereits vor der Pandemie bestehende Care-Krise zeigt sich nun in der Corona-Krise umso deutlicher. Um auf unsere Forschungsfrage nach Wohnen und Care zurückzukommen: die Art und Weise, wie wir wohnen und mit wem wir wie zusammenleben, hat sich hier als entscheidend für die Erfüllung von Care herausgestellt. Es zeigt sich wie unter einem Brennglas die Dringlichkeit, über die jetzige Organisation von Care und Wohnen nachzudenken: Wie lässt sich Care geschlechtergerechter organisieren? Und wie lässt sich dies in (neuen) Wohnformen – jenseits von Kleinfamilie und Einpersonenhaushalten – realisieren? Welcher Umgang mit Care-Aufgaben lässt sich in gemeinschaftlichen Wohnprojekten – gerade auch im Ausnahmezustand des Lockdowns – beobachten? Gibt es hier neue Aufgabenverteilungen? Unter welchen Umständen wird Care im eigenen Haushalt wie organisiert, unter welchen Voraussetzungen vergemeinschaftet?

Und was bedeutet Corona auf politischer Ebene: Stärkt die – im Grunde durchweg auch als Care-Krise lesbare Pandemie – das Bewusstsein für die Wichtigkeit von Care und die Notwendigkeit guter öffentlicher Infrastrukturen? Oder wird es aufgrund der wirtschaftlichen Folgen der Krise eher zu Einsparungen im öffentlichen Haushalt kommen und die Förderung innovativer Wohnkonzepte ausgebremst werden?

Manche dieser Fragen lassen sich möglicherweise erst mit einem etwas größeren Zeitabstand beantworten. Sicher ist, dass die Idee, Wohnen und Care gerade auch im Hinblick auf Geschlechtergerechtigkeit zusammenzudenken, sich gerade durch die Corona-Krise als notwendiger und vielversprechender Ansatz erweist.

 

Literatur

Bujard, Martin; Laß, Ina; Diabaté, Sabine; Sulak, Harun; Schneider, Norbert F. (2020): Eltern während der Corona-Krise. Zur Improvisation gezwungen. Wiesbaden: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung

Demografieportal (2018): Bevölkerung nach Lebensformen. URL: https://www.demografie-portal.de/DE/Fakten/lebensformen.html

Kohlrausch, Bettina; Zucco, Aline (2020): Corona trifft Frauen doppelt – weniger Erwerbseinkommen und mehr Sorgearbeit. In: WSI Policy Brief Nr. 40, Mai 2020

Statistisches Bundesamt (2020): Alleinerziehende Elternteile* nach Geschlecht und Familienstand 2019. Fachserie 1, Reihe 3, Bevölkerung und Erwerbstätigkeit: Haushalt und Familien (eigene Berechnungen). URL: http://www.sozialpolitik-aktuell.de/tl_files/sozialpolitik-aktuell/_Politikfelder/Familienpolitik/Datensammlung/PDF-Dateien/abbVII20.pdf