Innovative Unterstützungsmöglichkeiten des gemeinschaftlichen Wohnens durch die Kommunen

von Barbara Janker
Der in unserer Gesellschaft vorherrschende demografische Wandel wirkt sich auch auf das Thema Wohnen aus. Die Geburtenrate sinkt bei steigender Lebenserwartung – daraus resultiert ein veränderter Altersaufbau der Bevölkerung. Auch die Bedürfnisse und Anforderungen an Wohnen sind von dieser Veränderung betroffen. Ein selbstbestimmtes Leben stehen ebenso im Zentrum wie Teilhabe an der Gesellschaft und die Vermeidung von Vereinsamung. Care Arbeit, die zur Erfüllung dieser Bedarfe notwendig ist, wird immer noch überwiegend von Frauen ausgeführt und kann unter Umständen zu einer größeren Betroffenheit von Altersarmut führen. Um dieser Dynamik entgegenzuwirken wird der Wunsch nach neuen Wohnformen laut, welche einerseits soziale Teilhabe und andererseits gegenseitige Unterstützung und gemeinschaftliches Care verwirklichen soll.

Besonders gemeinschaftliche Wohnformen können sich eignen, um dem demografischen Wandel in Hinblick auf Wohnen und Care gerecht zu werden (Töllner 2016, S. 27; Buchen und Maier 2008, S. 7; Pätzold 2017, S. 123–124). Gemeinschaftliche Wohnformen können sich durch die Eigenverantwortung einer Gruppe, die nachbarschaftliche Unterstützung, die sozialen Netzwerke, die lokale Zusammenarbeit und durch gemeinschaftliches Care, auszeichnen (Töllner 2016, S. 27).

Wohnraum gilt allgemein als Wirtschafts- und Sozialgut. Aufgrund der gestiegenen Boden- und Immobilienpreise ergibt sich allerdings ein angespannter Wohnungsmarkt – vor allem im Umfeld von Ballungsräumen. Aufgrund der hohen Kauf- und Mietpreise können viele Zielgruppen ihren eigenen Wohnbedarf nur schwer decken, woraus sich die Forderung nach bezahlbarem Wohnraum ergibt. Wohnen wird daher zur kommunalen Steuerungsaufgabe. Es wird nach vielfältigem und leistbarem Wohnraum verlangt (Bayerische Verwaltung für Ländliche Entwicklung, S. 18–19). Damit Kommunen dieser Forderung nachkommen, können sie beispielsweise die Entstehung von gemeinschaftlichen Wohnformen unterstützen. Ob gemeinschaftliche Wohnformen zustande kommen können oder nicht, liegt also in der Mitverantwortung der jeweiligen Kommune. So verfügt diese über verschiedene Instrumente, um die Entstehung von gemeinschaftlichem Wohnen zu fördern (Töllner 2016, S. 27), auf welche im Folgenden näher eingegangen wird.

Eine Möglichkeit der Kommune, um gemeinschaftliches Wohnen zu unterstützen, ist die Veräußerung von Grundstücken per Konzeptverfahren. Projektgruppen, welche gemeinschaftliche Wohnformen initiieren, konkurrieren in ihrer Bewerbung für kommunale Grundstücke meist mit Bauträgern oder Wohnungsunternehmen. Diese können bei Bedarf wesentlich schneller reagieren als die Projektgruppe. Mithilfe der Konzeptvergabe können Kommunen hier steuernd eingreifen. Sämtliche Bewerber für das kommunale Grundstück müssen im Rahmen des Konzeptverfahrens ihr eigenes Konzept vorlegen. Außerdem hat die Kommune dadurch die Möglichkeit, Gemeindeflächen speziell für gemeinschaftliche Wohnformen auszuweisen (Bura und Töllner 2014, S. 10; Töllner 2016, S. 27; BBSR 2020, S. 6–7).
Ebenso wird durch das Konzeptverfahren die Finanzierung für die Projektgruppe erleichtert. Denn im Gegensatz zu üblichen Höchstpreisverfahren spielt hier die Qualität des Konzepts eine wichtige Rolle und nicht das höchste Gebot. Des Weiteren hat die Kommune den Vorteil, dass sie das Projekt mit Hilfe der Ausschreibung inhaltlich steuern kann (Reimer et al. 2020, S. 57–58; BBSR 2020, S. 6–7).

Beispielsweise erfolgte beim sogenannten „Jahrhundertprojekt“ am Klosteranger Weyarn die Grundstücksvergabe über das Konzeptverfahren (Bayerische Verwaltung für Ländliche Entwicklung o.J., S. 34–35). Auch die Stadt Leipzig vergab die Grundstücke für Projekte der „Wohnungsgesellschaft mbH Central LS W33“ sowie für das Projekt „Flatiron am Felsenkeller“ über Konzeptverfahren (Netzwerk Leipziger Freiheit et al. 2018, 29, 31).

Auch das Gründen von Dachgenossenschaften durch die Kommune kann gemeinschaftliches Wohnen vorantreiben. Vor allem für kleinere Projektgruppen, welche aus organisatorischen und finanziellen Gründen meist keine eigene Genossenschaft gründen können, stellen Dachgenossenschaften eine große Hilfe dar. So wurde von der Stadt Tübingen die Dachgenossenschaft Wohnen ins Leben gerufen. Um Projekte lokaler Initiativen zu unterstützen, übernimmt sie die Gründungs-, Bau- und Verwaltungsaufgaben, also die übergeordnete Organisation. Die Projektgruppen behalten dabei ihre Autonomie. Auch stellt die Dachgenossenschaft einen Sozialfond für Menschen, die nicht aus eigenen Mitteln am gemeinschaftlichen Wohnen teilhaben können, zur Verfügung. Ziel der Stadt Tübingen ist es, Menschen aus allen Einkommensschichten den Zugang zu gemeinschaftlichem und langfristig bezahlbarem Wohnraum zu ermöglichen (Müller 2021; Dachgenossenschaft Wohnen Tübingen eG 2022).

Des Weiteren erleichtert die Vergabe von Grundstücken über Erbbaurecht den Projektgruppen die Realisierung ihres Konzepts. Ebenso kann die Kommune damit Initiativen mit wenig Kapital unterstützen. So haben Kommunen die Möglichkeit über das Erbbaurecht ein Grundstück befristet auf 99 Jahre zu vergeben. Der*die Erbbaurechtsnehmer*in erwirbt dabei das Eigentum an Gebäuden auf dem Grundstück. Die Projektgruppe zahlt dann einen Erbpachtzins an die Kommune zurück. Umgekehrt kann die Kommune mit dem*der Erbbaurechtsnehmer*in Vereinbarungen über die Gestaltung und Instandhaltung des Gebäudes treffen. Auch besteht der Vorteil, dass das Bauland im Eigentum der Stadt bleibt (Bura und Töllner 2014, S. 10; BBSR 2020, S. 6).

Ein Best-Practice-Beispiel hierfür ist die Initiative Froh2Wo in Bad Dürkheim. Die Kommune hatte die Absicht, das kommunale Grundstück über das Erbbaurecht an soziale und gemeinschaftliche Projekte zu vergeben und entschied sich hierbei für die Initiative Froh2Wo. Um das Projekt noch mehr zu unterstützen, senkte die Stadt sogar den Erbpachtzins von 3% auf 1,5% (Reimer et al. 2020, S. 58). Ein weiteres Beispiel ist das Mietshäusersyndikat in Freiburg. Flächen, die für Wohnungsbaugenossenschaften uninteressant waren, wurden über Erbpacht an das Syndikat vergeben (Mietshäuser Syndikat o.J.). Ebenfalls wurde das Gesundheits- und Pflegezentrum in Waldthurn, welches ein altengerechtes Wohnen mit Betreuungsangebot darstellt, durch einen Erbpachtvertrag zwischen Gemeinde und den Projektträgern realisiert (Bayerische Verwaltung für Ländliche Entwicklung, S. 30).

Auch eine Förderung von gemeinschaftlichem Wohnen durch das kommunale Wohnungsunternehmen ist denkbar. So kann die Kommune selbst nachfrageorientiert Wohnformen bilden und langfristig bezahlbaren Wohnraum sichern (Töllner 2016, S. 29; Bura und Töllner 2014, S. 7–8). Als Best-Practice Beispiel kann hier das „NILS-Wohnen im Quartier“ in Kaiserslautern angeführt werden. Dieses Wohnprojekt wurde von der Bau-AG, einem kommunalen Wohnungsunternehmen der Stadt Kaiserslautern, realisiert. Neben bezahlbaren Wohnraum besteht die Möglichkeit pflegerische, hauswirtschaftliche und soziale Dienste in Anspruch zu nehmen (Bau AG Kaiserslautern o.J.).

Weiterführend können Kommunen das gemeinschaftliche Wohnen unterstützen, indem sie spezielle Koordinierungs- und Beratungsstellen strukturell verankern. So erhalten Baugruppen und Wohnprojekte lokale Anlaufstellen, welche sie in ihrem Vorhaben beraten und unterstützen (Töllner 2016, S. 28; Bura und Töllner 2014, S. 7–8; Geschäftsstelle Modellprogramm Gemeinschaftlich wohnen, selbstbestimmt leben“ des BMFSFJ 2019, S. 57–58). Ebenso können Kommunen die Projektgruppen im Knüpfen von Kontakten zu Investoren oder Wohnungsunternehmen unterstützen. Projektgruppen sind für die Realisierung ihres Konzeptes oft auf solche angewiesen. Da die Kommune meist bereits bestehende Verbindungen zu diesen hat, kann sie einen Kontakt zwischen beiden Parteien herstellen und so die Realisierung des Wohnvorhabens positiv beeinflussen (Bura und Töllner 2014, S. 9; Töllner 2016, S. 29).

Die Stadt Hamburg beispielsweise integrierte im Amt für Wohnen, Stadterneuerung und Bodenordnung die Agentur für Baugemeinschaften. Diese berät seit 2003 Menschen, welche sich für nachbarschaftliches Wohnen interessieren. Sie unterstützt bei der Ideenfindung, knüpft Kontakte zu anderen Interessierten, informiert über Grundstücksausschreibungen und ist Ansprechperson in allen anderen Fragen (Amt für Wohnen, Stadterneuerung und Bodenordnung o.J.).

Als besonderes Beispiel für die Zusammenführung von Care und Gender im Bereich Wohnen kann die Koordinierungsstelle, Leitstelle „Alltags- und Frauengerechtes Planen und Bauen“, der Stadt Wien angeführt werden. Das erste Projekt der Koordinierungsstelle war der Wohnkomplex Frauen-Werk-Stadt I. Als Weiterentwicklung folgte 2004 die Frauen-Werk-Stadt II. Diese Projekte sind genau auf die Bedürfnisse von Frauen zugeschnitten (Baum 2021). Das Projekt Frauen-Werk-Stadt II stellt bezahlbaren Wohnraum für ältere Menschen, insbesondere Frauen, dar. Bei Bedarf kann auf das betreute Wohnen zurückgegriffen werden (Stadt Wien o.J., S. 1). Besonders spannend bei diesen Projekten ist, dass es sich nicht nur um gemeinschaftliche Wohnprojekte handelt, sondern dass ebenfalls „frauengerechtes“ und „alltagsgerechtes“ Wohnen berücksichtigt wird. Die Leitstelle Alltags- und Frauengerechtes Planen und Bauen wurde dann 2010 aufgelöst, um sie auf mehrere Stellen zu verteilen, beispielsweise auf den Bereich Gendergerechte Stadtplanung (Baum 2021). Diese strukturelle Verankerung der Themen Wohnen und Care in Wien kann als Best-Practice Beispiel bezeichnet werden.

Abschließend wird deutlich, dass Kommunen sich vieler verschiedener Möglichkeiten bedienen können, um gemeinschaftliche Wohnformen, auch in Bezug auf Care, positiv zu unterstützen und zu beeinflussen. Insbesondere die Hilfe zur Kontaktaufnahme mit Wohnungsunternehmen und Investoren kann das Entstehen von gemeinschaftlichem Wohnen beschleunigen. Für die Zukunft wäre wünschenswert, dass derartige Hilfemöglichkeiten auf kommunaler Ebene transparent dargestellt und aktiver umgesetzt werden. Somit kann die Thematik des gemeinschaftlichen Wohnens und deren Fördermöglichkeiten in der Bürger*innenschaft präsenter werden und auf mehr Anklang stoßen.